News des Tages: Corona-Hotspot Luxemburg, Jugendstudie, Nordkoreas Geisterschiffe
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
-
Mini-Land, große Gefahr: Was sagt Luxemburgs Drosten über eine zweite Corona-Welle?
-
Hauptsache, Durchschnitt: Wie spaßbefreit ist die Jugend?
-
Tod an Bord: Was hat es mit Nordkoreas Geisterschiffen auf sich?
1. Unendlich sagt’s mal einer
“Das Fass läuft gerade tröpfchenweise über.” Dieser etwas floskelhafte Satz hat mich alarmiert. Gesagt hat ihn Rudi Balling, der führende Pandemie-Experte Luxemburgs, also der “Christian Drosten” des Mini-Landes, wie meine Kollegin Julia Merlot ihn nennt, die mit ihm ein Interview geführt hat. Nirgendwo in Europa gibt es derzeit so viele Corona-Fälle pro Einwohner wie dort.
Leider bezieht sich Ballings kleiner Satz nicht nur auf Luxemburg, sondern auf die Gefahr einer zweiten Welle in ganz Europa. “Luxemburg ist wahnsinnig international und vernetzt”, sagt Julia, “das macht es dem Virus natürlich leicht, sich auch über die Landesgrenzen hinweg auszubreiten.” Die Corona-App ist zwar noch nicht veröffentlicht, soll dann aber gleich fünf Sprachen beherrschen: Luxemburgisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Portugiesisch.
Noch vor Kurzem steckten sich Balling zufolge eher ältere Menschen an, jetzt auch jüngere, die mehr reisen, die arbeiten gehen und feiern. Die Folge: weniger schwere Fälle, aber eine höhere Gefahr für neue Infektionen. Deutlich warnen Forscher wie er inzwischen, dass Infizierte ohne Symptome das Virus weitergeben und es sich unbemerkt ausbreiten kann. Julia sagt: “Darum gab es lange Diskussionen, Behörden haben die ersten Hinweise nicht so recht ernst genommen.”
Drohen also neue Lockdowns? Nicht wie im März, glaubt Balling. “Die Belastung für die Gesellschaft ist zu hoch.” Er appelliert: “Bis es eine Impfung gibt, gilt Abstand halten, Maske tragen und Hände desinfizieren.” Klingt mittlerweile auch fast wie eine Floskel; aber wenn ich mich in Bussen und auf Märkten so umschaue, denke ich: Man kann es nicht oft genug sagen. Balling scheint es ähnlich zu sehen – für das Gespräch mit Julia hat er eine Urlaubswanderung abgesagt.
2. Party? Ohne mich
“Die Jugend” hat ja selten einen guten Ruf, außer vielleicht die eigene. (Wie schön das war, als das Smashing-Pumpkins-Doppelalbum “Mellon Collie and the Infinite Sadness” erschien…) Jetzt attestieren Forscherinnen und Forscher den 14- bis 17-Jährigen, noch braver zu sein, als man es eh schon befürchtet hat. Meine Kollegin Swantje Unterberg hat die Sinus-Jugendstudie ausgewertet: “Die Jugend von heute wünscht sich, in der Mitte der Gesellschaft zu stehen und bürgerlicher Durchschnitt zu sein.”
Was zählt? “Ein guter Job, eine Familie mit Kindern, Gesundheit, Wohlbefinden und ein Freundeskreis”, schreibt Swantje. Alles scheint dieser Generation wichtiger zu sein, als ihr eigenes Ding zu machen oder Erfolg. Was sie von früheren Generationen unterscheidet: Die Jugendlichen sind ernster geworden und besorgter. “Fast scheint es, als sei der Jugend der Spaß abhandengekommen”, heißt es in der Studie. Das erschreckt mich mehr als die vermeintliche Bravheit.
3. Von Geisterschiffen und Witwendörfern
Selten strandeten in Japan so viele Boote mit Toten wie in den vergangenen Wochen und Monaten, mehr als 150 waren es allein im vergangenen Jahr. Die Geisterschiffe kommen aus Nordkorea, an Bord liegen aber selten die Leichen von Flüchtlingen, sondern die von Fischern.
“So viele Nordkoreaner verschwinden mittlerweile auf hoher See, dass ihre Heimatorte an der Küste als ‘Witwendörfer’ bezeichnet werden”, schreibt Ian Urbina, ein früherer Investigativreporter der “New York Times”. Mittlerweile betreibt er eine Non-Profit-Medienorganisation, die vor allem über Umwelt- und Menschenrechtsverbrechen auf hoher See berichtet. Jetzt ging er dem Geheimnis der nordkoreanischen Geisterschiffe auf den Grund.
Lange herrschte die Hypothese, der Klimawandel verändere die Wanderrouten der Tintenfische vor Nordkoreas Küste, was die verzweifelten Fischer immer weiter aufs Meer hinaustreibe. Doch nun zeigen die Auswertung von Satellitendaten und Schiffskoordinaten sowie Gespräche mit Experten: “China entsendet eine bislang unentdeckte Flotte zum Fischfang in nordkoreanische Gewässer”, berichtet Ian Urbina. Das führte dazu, dass die Bestände dramatisch eingebrochen seien.
Die Übermacht der chinesischen Konkurrenz setzt die nordkoreanischen Fischer unter mörderischen Druck. In ihren teils morschen Kähnen, ohne Toiletten und Betten an Bord, nehmen sie demnach hohe Risiken auf sich. “Weit entfernt von Nordkoreas Küste, von Taifunen versprengt oder nach Motorschäden unfähig zu navigieren, würden sie von der Tsushima-Strömung erfasst, die nordostwärts an der Westküste Japans entlangfließt”, sagt ein Experte.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Elche, Bären, Eva Herman
Einst die beliebteste “Tagesschau”-Sprecherin auf dem begehrtesten Programmplatz, heute Verschwörungsideologin mit eigenem Telegram-Kanal, auf dem sie über die angebliche Corona-Hysterie und die “globale Impf-Allianz von Bill Gates und Angela Merkel” schimpft – die, nun ja, Karriere Eva Hermans lässt sich beschreiben als öffentlich-rechtlicher Aufstieg und öffentlicher Abstieg rechts außen.
Wie Hermann und andere rechte Ideologen nun deutsche Staatsbürger mit braunem Gedankengut in die kanadische Provinz Nova Scotia locken, hat mein Kollege Martin Doerry recherchiert. In einer Kolonie von Gleichgesinnten sollen die “Neusiedler” Immobilien kaufen. Herman amtiert als “Medienbeirätin”. Vor allem aber dürfte sie als Lockvogel für Kunden aus AfD-nahen Kreisen dienen.
“Am meisten hat mich der Zynismus dieser Verschwörungsideologen beeindruckt”, sagt Martin Doerry. “Sie jagen den Leuten tüchtig Angst ein und sehen dann zu, wie diese Menschen ihr Geld beim Kauf von zum Teil völlig überteuerten Grundstücken verbrennen.”
Zunächst wollte keiner der Betroffenen mit ihm reden. Dann aber war ein Unternehmer aus Bayern endlich bereit: “Erst beschimpfte er mich und den SPIEGEL als Mainstream- und Fake-News-Journalismus, dann schilderte er haarklein die Tricks der Grundstücksverkäufer in Nova Scotia.”

SPIEGEL Update – Die Nachrichten
Was heute sonst noch wichtig ist
-
Gruppenvergewaltigung in Freiburg – Freiheitsstrafen für die meisten Angeklagten: Mehrere Männer vergewaltigten im Herbst 2018 eine 18-Jährige. Nun hat das Landgericht Freiburg sein Urteil gesprochen.
-
Portlands Bürgermeister bei Demonstration von Tränengas getroffen: Ted Wheeler hat wiederholt scharfe Kritik am Einsatz von US-Bundespolizisten in Portland geäußert. Nun wurde er bei einer Demonstration selbst Opfer des harten Vorgehens.
-
Bewährungsstrafe für ehemaligen SS-Wachmann in Stutthof-Prozess: Als 17-Jähriger war Bruno D. Wachmann im KZ Stutthof. Nun hat das Gericht den heute 93-Jährigen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt.
-
Neuanträge auf Asyl auf niedrigstem Stand seit 2012: Im Jahr 2019 ist die Zahl der Schutzsuchenden um drei Prozent gestiegen. Es ist der niedrigste Zuwachs seit 2012. Die Zahl der offenen Anträge sinkt deutlich.
-
Nur Ritter Sport darf quadratisch sein: Sie ist seit Jahrzehnten das exklusive Erkennungsmerkmal der Schokomarke – die Form und Verpackung. Das bleibt nun auch so. Der Bundesgerichtshof hat eine Beschwerde des Konkurrenten Milka abgewiesen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
-
Chefarzt Stephan Martin sagt, dass Menschen mit Diabetes Typ 2 oft Insulin verordnet werde, weil Ärzte und Krankenkassen daran verdienten. Im Interview empfiehlt er eine andere Form der Behandlung.
-
In seiner Kolumne ‘Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme)’ erzählt Samer Tannous aus seinem Leben. Diesmal denkt er darüber nach, ob er mehr wie ein deutscher Vater sein müsste.
Was heute nicht so wichtig ist

So sieht Freude aus
Foto: Tommaso Boddi/ Getty Images
Diazshow: Die Schauspielerin Cameron Diaz, 47, ist eigenen Angaben zufolge verrückt nach ihrer wenige Monate alten Tochter Raddix, deren Name nach Kenntnis der Redaktion ausdrücklich nicht auf eine Kreuzung des wohl bekanntesten Schokoriegel-Rebrandings zurückgeht. In einem Interview sagte die Darstellerin, was Eltern kleiner Kinder im Überschwang und unter Schlafmangel so sagen: “Wir sind einfach so glücklich.” Sonst ändert sich nix.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: “Am frühen Donnerstagmorgem sind in Nordrhein-Westfalen bei einer Razzia gegen Clankriminalität mehrere Wohnungen und Firmen durchsucht worden.”
Cartoon des Tages: Anfrage aus dem Weißen Haus

Foto: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Vielleicht mal wieder ins Kino, mit Maske? Burhan Qurbanis schmerzhaft aktuelle Verfilmung von “Berlin Alexanderplatz” läuft seit vergangener Woche; ein Porträt des Schauspielers Albrecht Schuch hatte ich neulich schon empfohlen. Mehr über den Film finden Sie hier. Für mich als gebürtigen Berliner eigentlich ein Muss, auch wenn der Literaturklassiker hier als Folie dient für ein Flüchtlingsschicksal.

Foto:
Stephanie Kulbach/ dpa
In diesem Sinne: erst Abendessen, dann Heimatgefühle.
Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
Hier können Sie die “Lage am Abend” per Mail bestellen.
Related Posts

5G: Wenn die belgische Regierung bestimmte Lieferanten ausschließt, wer wird dafür bezahlen? →

Die belgische Regierung ist in Bezug auf das 5G-Recht weniger transparent →

Lufthansa verzeichnet rasanten Anstieg bei Flugbuchungen im Dezember →
