Johnson und von der Leyen vereinbarten, bis Sonntagabend eine verbindliche Entscheidung zu treffen, wie die EU-Kommissionschefin auf Twitter mitteilte. »Wir hatten eine lebhafte und interessante Diskussion über den Stand der Dinge bei den offenen Fragen«, erklärte von der Leyen nach einem Abendessen mit Johnson. Und weiter: »Wir verstehen die Positionen des anderen. Sie liegen nach wie vor weit auseinander.« Aus britischen Regierungskreisen hieß es, es sei immer noch unklar, ob eine Einigung zustande komme. Premierminister Johnson wolle aber nichts unversucht lassen.
»Das sollte kein Premierminister dieses Landes akzeptieren«
Großbritannien hatte die EU Ende Januar verlassen. Ein Vertrag müsste bis zum 31. Dezember stehen, denn dann läuft die Brexit-Übergangsphase aus. Trotz monatelanger Verhandlungen gelang bislang kein Durchbruch. Hauptstreitpunkte sind nach wie vor faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern.
»Ein gutes Abkommen ist noch immer möglich«, sagte Johnson vor seiner Abreise in London. Er verschärfte aber auch den Ton: Die EU bestehe auf einigen Standpunkten, die »kein Premierminister dieses Landes akzeptieren sollte«, sagte Johnson am Mittwoch im Parlament in London. Ein guter Deal sei noch möglich, aber sein Land werde so oder so »mächtig florieren«.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Vormittag zurückhaltend zu den Erfolgsaussichten der Gespräche gezeigt: »Es gibt nach wie vor die Chance eines Abkommens, wir arbeiten weiter daran«, sagte sie im Bundestag. Die EU sei aber bei nicht zu akzeptierenden Bedingungen von britischer Seite auch darauf vorbereitet, einen »Weg ohne Austrittsabkommen« zu gehen.
Ohne Einigung würden im beiderseitigen Handel zum Jahreswechsel Zölle erhoben. Wirtschaftsverbände rechnen dann nicht nur mit massiven Staus an den Grenzen im Lieferverkehr, sondern auch mit Milliarden an Mehrkosten und Einnahmeausfällen.
Immerhin: Vor dem Spitzentreffen in Brüssel hatten beide Seiten am Dienstag einen wichtigen Streitpunkt zu Nordirland ausgeräumt. Demnach verzichtet London darauf, einseitige Änderungen am bereits geltenden Brexit-Vertrag in diesem Bereich vorzunehmen. EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic hatte dies als möglichen »positiven Impuls« für die Handelsgespräche bezeichnet.
Sollte noch ein Abkommen zustande kommen, müsste es im Europaparlament ratifiziert werden. Dafür reicht aber die Zeit kaum noch, wie der SPD-Brexit-Experte Bernd Lange sagte. Eine vorläufige Anwendung ohne Ratifizierung will das Parlament nicht. Das wäre »eine Kampfansage«, sagte der Europaabgeordnete. Wie dieses Dilemma gelöst werden soll, ist unklar.
Unterdessen hat Großbritannien mit Kanada einen Vertrag über die künftigen Handelsbeziehungen nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase unterzeichnet. »Dies ist ein großartiger Deal für das globale Großbritannien. Er sichert Handel im Wert von 20 Milliarden Pfund mit einem Freund und Partner, der unser klares Bekenntnis zu freiem Handel teilt«, sagte Wirtschaftsministerin Liz Truss.
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